Kultur und Identität
Gleich am Beginn dieses Heftes steht eine Befassung mit der jüngeren Agrikulturgeschichte. Kultur und Identität des ländlichen Raumes werden nach wie vor mit dem Bild und der Idee einer flächendeckend wirtschaftenden Landwirtschaft verbunden, auch wenn das statistische Abbild der realen Befindlichkeit des ländlichen Raumes bereits eine andere Sprache spricht. Nur mehr ungefähr 1,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes werden vom Primären Sektor erwirtschaftet, jedoch noch 7 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten in der Landwirtschaft, und rund 3 bis 4 Millionen Österreicher leben – je nach Abgrenzung – in ländlichen Gegenden. Indiz für eine gemeinsame kulturelle Pluralität oder für ein paralleles Nebeneinander kultureller Milieus? Gerade die kulturelle Profilierung gestattet es Kleinstädten am Lande, sich im Konzert mit viel größeren und wirtschaftlich stärkeren Konkurrenten Gehör, sprich Öffentlichkeit, zu verschaffen. Gelebte Kultur beinhaltet vor allem das Zeitgenössische und verläßt sich nicht allein auf die Wiederholung historischer Formen. Krems ist hiefür ein prominentes, aber nicht das einzige Beispiel.
Das gilt zu ebener Erd´, aber auch in der Höh´? Die Befürchtung, die Berglandwirtschaft könnte einer diskriminierenden Musealisierung unterliegen, wenn man sich die Agenda 2000 ansieht, wird von vielen geteilt. Wie sieht aber eine zukunftsfähige Bergbewirtschaftung aus? Pro Vita Alpina stellt ihren Ansatz vor.
Die Symptome mehren sich, daß die Flächendeckung der agrarischen Bewirtschaftung Löcher bekommt. Das ruft unvermutet völlig neue Akteure auf die Bühne des ≥ländlichen Raumes„. Die Freizeitwirtschaft sucht Standorte, die möglichst aus allen Himmelsrichtungen erreichbar und vermarktbar sind. Das ländliche Idyll wird im Anlaßfall beschworen, aber ist das eine hinreichende Strategie, um der in Gang gekommenen Entwicklung zu begegnen? Kriterien für eine nachhaltige Raumentwicklung könnten künftig als Beurteilungsmaßstab für derartige Projekte dienen.
Ein reizvolles kulturelles Amalgam bilden ländliche Regionen mit vor- und frühindustriellen Wurzeln, namentlich die ≥Eisenstraßen„. Nachhaltige Gemeindeentwicklung praktiziert Steinbach an der Steyr – übrigens ein Schlüsselort der heurigen oberösterreichischen Landesausstellung – schon seit über 10 Jahren. Am Beginn stand eine Vereinbarung über eine neue politische Kultur im Gemeindeleben. Darauf bauten die mehr als 50 realisierten Projekte seither auf. Im niederösterreichischen Mostviertel hat sich aus montanhistorischem Interesse ein Verein ≥NÖ Eisenstraße„ gegründet, der die kulturellen Denkmäler der niedergegangenen Eisenerzeugung im Sinne eines Kulturparks mit neuem Leben erfüllen will. Den Sprung zu schaffen, mit der heutigen gewerblichen Produktion in Kooperation zu treten, ist noch nicht ausreichend gelungen. Ein zeitgenössisches architektonisches Zeichen wurde mit der Kulturschmiede Gresten zumindest schon gesetzt.
Kultur muß sich fokussieren können. So wichtig Breite in räumlicher und gesellschaftlicher Hinsicht für die regionale Identitätsstiftung sein mag, so unverzichtbar ist die Kristallisation auf Orte, Ereignisse und Personen. ≥Grenzgänger„ braucht der ländliche Raum wie die Stadt auch. Beiträge aus dem oberösterreichischen Raum, wie die Triennale der Bildhauer aus dem Länderdreieck Bayern, Tschechien und Oberösterreich oder der Kulturverein CART zeigen, daß es Kulturereignisse jenseits der Brauchtumspflege geben kann, ohne gleich aufgesetzt zu sein. Offenheit und Multikulturalität als Programm von Kulturhäusern stoßen zwar zuweilen auf Unverständnis, ihre Eisbrecherfunktion ist aber gerade deswegen umso wertvoller.
Der gespannte Bogen von Tradition über Zeugnisse vergangener Wirtschaftsgrundlagen bis hin zu den Herausforderungen der neuen Freizeitwirtschaft oder der fortschreitenden europäischen Öffnung beschreibt stichprobenartig den Nährboden für kulturelle Äußerungen mit regionaler Dimension.
(Editorial von Heinz Dörr)
Inhaltsverzeichnis
Editorial
Heinz Dörr
Der ländliche Raum im rapiden Wandel der Nachkriegszeit
Roman Sandgruber
Architektur als Kulturträgerin – Historische Kleinstädte im Spannungsfeld von Alt und Neu
Wolfgang Krejs
Alpenidylle & Tanzbären?
Hans Haid
Landnahme durch Disneys Epigonen
Gerlind Weber
Der Steinbacher Weg – Aufbruch von Innen
Günther Humer
Aufbruch an der NÖ Eisenstraße
Norbert Mauler
≥Grenzgänger„ – Die Triennale der Bildhauer
Aldemar Schiffkorn
≥Cart„ belebt seit 20 Jahren die heimische Kulturlandschaft
Herbert Friedl
≥Bierstindl„ und ≥OHO„ – Zwei unabhängige Kulturzentren
Eva-Maria Munduch-Bader
Lungauer Mythen und Sagen
Bernhard Holzrichter
Aus der ÖKL-Arbeit, Mitteilungen, Buchbesprechungen
Umfang: 40 Seiten